Donnerstag, 20. November 2014

Auf dem K2 - wo sind die Frauen

Ich bin auf alte Texte gestoßen, die 1989 die in der Zeitschrift K2 veröffentlicht wurden. Das war ein Projekt von Germanist/innen der Uni Stuttgart, das aus einem Seminar "kreatives Schreiben" hervorging. Beteiligt daran waren auch die damaligen Professoren Michael Kienzle und Dirk Mende.

Den längsten Text veröffentliche ich hier. Die kürzeren sind als Bilder beigefügt.

Frauen an der Uni 
Christine Lehmann 1989

Also morgens natürlich die Putzfrauen, dann die Sekretärinnen. Ich lese: »Die Frauen kommen und gehen, aber die Freunde bleiben.« 1985 (Torsten Becker, verfälscht zitiert) Da gab’s doch mal die Frau P. Die, die in ihrem Seminar nur aus ihrem vor Jahrzehnten geschriebenen Buch vorlas. Früher gab’s in der Linguistik auch eine, von der es hieß, sie treibe es mit Männern und Frauen.
Und dann war da noch die Frau G., die mit Seminaren zu romantischen Frauenbriefen und Frauenbüchern gastierte. Das ist aber wieder eingeschlafen. Und dann haben wir ja noch Frau R., von der man munkelt, dass, wenn schon eine Frau auf dieser Stelle, es wenigsten keine sein solle, die kompetent ist.
Professor W. begründet zu Beginn eines Christa-Wolf-Seminars, dass es nicht wie gewünscht eine Frau zu sein brauche, die das Seminar leite, denn Wissenschaft sei geschlechtsneutral. Einmal redet auch ein Gastdozent über Frauenliteratur seit 1975. Er weist nach, dass Verena Stefans »Häutungen« schlechte Literatur sei. Defloration heiße doch auch nur, einer Frau die Blume nehmen, was denn daran neue Sprache sei? Ich lese: »Die Frau hat zwei Löcher, der Mann eines. Das ist der Unterschied. Die Frau taugt nicht zum Denken, sie schmiert, die Frau ist Geschmier, der Ruin der Schift.« 1986 (Rainald Götz) Professor L. entwickelt aus dem Stegreif die These, dass der Frauentod im Kindbett den Mann des 19. Jahrhunderts von der Monogamie frei hielt. Heute müsse man sich trennen mit all den Schwierigkeiten, um eine neue Frau zu haben. Seine Studentinnen lachen. »Was hat die Frau geleistet in den letzten paar tausend Jahren, Genvernichtung, sonst nichts, Geplapper, Geplärr, Geschwätz.« (Rainald Götz)
Bettine Brentano kennen wir nun, darum Achim von Arnim nicht besser. Und natürlich die Günderrode: kein Ort, nirgends. Aber feministische Ansätze sind Modekram. Darüber sind wir und doch einig, dass wir nichts Feministisches wollen. Was Herr Q. denn über Feminismus wisse, was er denn gelesen habe? Ja, wenn man ihn so frage, sagt Q. 
Ich lese: »Neuer Vorschlag: alle neugeborenen Mädchen ersäufen.« 1977 (Lichtenberg, Sudelbücher) Lichtenberg, der wusste es nicht besser. Zwischen zwei Profs sitzend höre ich mit an, wie einer den anderen um seine Frau beneidet, die zu Hause mit dem Essen auf ihn wartet, und wie dieser jenem anträgt: »Du kannst sie haben.« Dass einer beim Lesen erigiert, höre ich, dass die durchmauerte Stadt Berlin an einen Hintern erinnere: die Ritze durch, aber wo ist dann das Loch? Professorale Fragen. Es vergeht kein Kolloquium unter Männern, in dem nicht einmal vom Penis, vom Pinkeln, vom Ficken die Rede ist. Frauen lachen dabei. Frauen: ein obszönes Wort. 
L. wird böse, als eine Studentin ihm vorwirft, er feiere Bettine Brentano, die phantasievolle, und hasse Rahel Varnhagen, die larmoyante, wohl deshalb so, weil Bettine sich mädchendoof klein mache vor großen Männern, Rahel aber vergrößere. L. antwortet, er habe immerhin eine Frau vorzuweisen, die wissenschaftliche tätig sei. Durch sein Frau habe er, vertraut er später einer Bewunderin an, gelernt, wie Frauen denken. 
Als Luise Pusch zum Gastvortrag kommt, reicht der Raum nicht,  müssen wir in einen viel größeren wandern. Dann stellt niemand sie vor, nennt niemand ihre Veröffentlichungen und Verdienste, führt niemand sie ein. Hinterher gibt es Frauenaufstand und Buhrufe gegen Männersätze. Einmal Männerhetze und Frauengelächter. 
Jemand sagt, dass es nicht gelte, den Kampf der Geschlechter anzustacheln, sondern Mensch zu sein, den Menschen zu sehen. Luise Pusch liest vor: »Wenn ein gewöhnlicher Mensch mit einem Kapitalisten sprach, musste er sich ducken und vor ihm katzbuckeln, seine Mütze abnehmen und ihn mit gnädiger Herr anreden.« 1948 (Orwell) Der Mensch ist also ein Mann. 
Aufmerksam gemacht, lese ich: »Ich glaube, der Mensch ist am Ende ein so freies Wesen, dass ihm das Recht zu sein, was er glaubt zu sein, nicht streitig gemacht werden kann.« Wieder Lichtenberg 1799 Wen meint er damit? Denn heißt es nicht überall: Frauen »müssen mit uns den Gedanken der Freiheit teilen, ohne sie selbst u begehren, weil für sie dieselbe ein Unding ist?«, so lässt Fanny Lewald einen Mann sagen.
Wir freien Menschen sind freie Männer. Ihr Frauen wurdet vaporisiert. Und was bin ich? 

Christine Lehmann, Stuttgart, 1989. In K II, einmalig erschienene Zeitschrift der Fakultät 11 der Uni Stuttgart, Auflage 500. (Der Text hat im Original übrigens Fußnoten mit den genauen Literaturangaben)